Das System

Die Lenormand-Karten sind keine Tarot-Karten, sondern ein eigenständiges Orakelsystem mit 36 Karten. Jede Karte zeigt ein einfaches, konkretes Symbol: Haus, Schiff, Schlange, Herz, Ring...

Diese Direktheit macht Lenormand zum idealen Werkzeug für praktische Lebensfragen. Während Tarot in Archetypen und spirituellen Konzepten denkt, sprechen Lenormand-Karten eine alltagsnahe Sprache.

Die Kombinationstechnik ist das Herzstück des Lenormand: Karten werden nie isoliert gedeutet, sondern immer im Zusammenspiel mit ihren Nachbarn. "Herz + Ring" bedeutet etwas anderes als "Ring + Herz". Diese Kombinationen ergeben eine erstaunlich präzise Bildsprache.

Die Große Tafel mit allen 36 Karten ist die Königsdisziplin - ein komplettes Lebensbild, das erfahrene Leger wie ein Buch lesen können.

Marie Anne Lenormand - Die Sibylle von Paris

Marie Anne Adelaide Lenormand (1772-1843) war die berühmteste Wahrsagerin ihrer Zeit - und eine der schillerndsten Figuren des revolutionären und napoleonischen Frankreichs.

Geboren in Alençon als Tochter eines Tuchhändlers, zeigte sie früh außergewöhnliche Fähigkeiten. Mit 14 Jahren sagte sie angeblich dem Abt ihrer Klosterschule seinen baldigen Tod voraus - und behielt recht.

1786 zog sie nach Paris und eröffnete einen Salon in der Rue de Tournon. Ihre Klientel liest sich wie ein Who's Who der Epoche: Joséphine de Beauharnais (der sie ihre Ehe mit Napoleon und die spätere Scheidung vorhersagte), Napoleon selbst, Robespierre, Marat, Zar Alexander I. und unzählige Adelige, Minister und Revolutionäre.

Während der Schreckensherrschaft wurde sie mehrfach verhaftet - ihre düsteren Vorhersagen für die Revolutionsführer machten sie verdächtig. Sie überlebte. Viele ihrer Klienten nicht.

Die Legende und die Wahrheit

Hier wird es kompliziert: Die heute als "Lenormand-Karten" bekannten Decks wurden nicht von Mlle Lenormand selbst geschaffen. Sie arbeitete vermutlich mit verschiedenen Kartensystemen, darunter möglicherweise das Tarot und ein "Spiel der Hoffnung" (Jeu de l'Espérance).

Die Petit Lenormand Karten mit 36 Symbolen entstanden erst nach ihrem Tod (ab 1850) und nutzten ihren berühmten Namen kommerziell. Das Deck basiert auf dem "Spiel der Hoffnung", einem Gesellschaftsspiel von 1799.

Diese "Fälschung" schmälert den Wert des Systems nicht - es hat sich über 170 Jahre bewährt und wurde durch Generationen von Kartenlegerinnen verfeinert. Der Name Lenormand steht heute für eine eigenständige, lebendige Orakeltradition.

Lenormand vs. Tarot

• Tarot: 78 Karten, komplexe Symbolik, spirituelle/psychologische Themen
• Lenormand: 36 Karten, direkte Symbole, praktische Alltagsfragen
• Tarot: Jede Karte steht für sich
• Lenormand: Bedeutung entsteht durch Kombination
• Tarot: "Was will mir das Universum sagen?"
• Lenormand: "Ruft er mich an oder nicht?"

Viele Kartenleger nutzen beide Systeme - Tarot für die großen Lebensfragen, Lenormand für konkrete Situationen.